Nikolas Migut ist Journalist, Dokumentarfilmer und Aktivist. Er arbeitet seit zwei Jahrzehnten an Projekten für Fernsehen und Web (z.B. ARD, ZEIT ONLINE) und hat 2016 mit Kolleg*innen und Freund*innen den gemeinnützigen Verein StrassenBLUES e.V. in Hamburg gegründet. Seine Mission: “Wir zeigen kreative Wege aus der Armut.”
Im Herbst 2018 hat der Verein erstmals einen Workshop mit fritz-kola im betahaus gemacht. Danach haben wir StrassenBLUES für ihre monatlichen Vereinstreffen kostenfrei Räume im betahaus zur Verfügung gestellt. Seit Kurzem ist Nik nun auch offiziell Mitglied unserer Community geworden. Höchste Zeit ihn mal ein wenig über sein Herzensprojekt auszufragen.
Schon vor unseren regelmäßigen Vereinstreffen war ich immer mal wieder auf spannende Events im betahaus. Die Atmosphäre, die Menschen und die Location hier sind für unseren Verein ideal. Mitte 2021 waren wir dann auf der Suche nach einem fixed desk mit entsprechender Postadresse in einem Stadtteil, der zu uns passt. Und tadaaa - jetzt sind wir hier und freuen uns auf inspirierenden Austausch und einer Arbeitsatmosphäre, die uns allen Freude bringt.
Eine Septembernacht damals 2012 hat für mich alles verändert. Ich war für den NDR an der Berliner Bahnhofsmission am Zoo und habe eine Reportage gedreht. Dann tauchte er um halb fünf Uhr morgens vor meiner Kamera auf - Alex. Er wollte nur einen Kaffee und ein Brötchen. Alex drückte sich gewählt aus - wie ein Theaterschauspieler auf der Bühne - und sprach direkt in meine Kamera: „Alexchen aus Köln. Gewohnt in Mönchengladbach und in Neumünster, jetzt in Berlin gelandet.“ In diesem Moment wusste ich, dass ich den Drehort verlassen muss, um Alex zu folgen.
Zweieinhalb Jahre später finde ich ihn wieder. In seiner Sozialwohnung hängten etwa hundert Gedichte an den Wänden. Er schreibe seit zwei Jahrzehnten, haben aber noch kein einziges davon veröffentlicht. Diesen Traum wollten wir verwirklichen. Als Team von StrassenHELD:INNEN gründeten wir am 5. November 2016 unseren gemeinnützigen Verein StrassenBLUES e. V..
Gemeinsam mit Alex entwickelten wir das StrassenBUCH und veröffentlichten seine Gedichte, die er während seiner zehn Jahre auf der Straße schrieb. Er sprach bei der Buchpremiere zum ersten Mal in seinem Leben vor 170 Menschen und schrieb Autogramme in sein eigenes Buch. An diesem Abend sagte Alex: „Ich wünsche mir, dass viele sehen, dass wir nicht alleine sind und dass man gemeinschaftlich etwas schaffen kann.“
Ich bin mit Alex bis heute im regelmäßigen Austausch und unsere Gespräche motivieren mich, diesen Weg für und mit obdachlosen Menschen weiter zu gehen.
Im Kern zeigen wir kreative Wege aus der Armut mit Hilfe von „Social Impact Storytelling“. Wir zeigen also Lösungsansätze auf und setzen diese für obdachlose und hilfebedürftige Menschen praktisch um. Dabei folgen wir unserem ganzheitlichen Ansatz „StrassenIMPACT“, der „Wohnen“, „Arbeiten“ und „Inkludieren“ umfasst. Wir bringen obdachlose Menschen in Wohnungen, bieten ihnen sinnvolle Arbeit an und erleben Gemeinschaft.
StrassenBLUES finanziert sich hauptsächlich über Spenden und hier insbesondere via Crowdfunding. Damit konnten wir z.B. in der Corona-Pandemie insgesamt 70 obdachlose Menschen in ein Hostel und einer Jugendherberge geschützt vor Corona und Winterkälte unterbringen.
Neben der Geschichte von Alex ist jene von Günter mir sehr in Erinnerung geblieben.
Günter hat sechs Jahre im Hamburger Hafen „Platte“ gemacht. Er hat sich als Tagelöhner auf St. Pauli herumgeschlagen. Günter hatte ´ne schlimme Kindheit – beide Eltern starke Alkoholiker. Der Vater hat die Mutter alkoholisiert im Streit tödlich verletzt.
Dann bekam Günter Prostatakrebs und eine chronische Lungenerkrankung und hatte nicht mehr lange zu leben. Sein letzter großer Lebenstraum: Einmal auf der Bühne zu stehen und vor Publikum zu singen. Dieses StrassenTALENT von Günter wollten wir fördern und haben deswegen den StrassenSONG „Mein St. Pauli“ mit ihm aufgenommen – darin singt er: „Wenn ich sterbe, begrabt mich auf St. Pauli“.
Wir haben ihm drei große Auftritte organisiert: Beim Science Slam im Übel & Gefährlich mit 500 Zuschauern, auf der Millerntor Gallery und zum Abschluss am Millerntor-Stadion vor 800 Fans und mit Fußballspielern des FC St. Pauli neben ihm auf der Bühne. Das war eine absolute Wertschätzung für Günter.
Als er starb, hat der FC St. Pauli seinen StrassenSONG in der Halbzeitpause im Stadion abgespielt - ein Gänsehautmoment.
1. Freundlich und respektvoll ansprechen
Wenn du einen obdachlosen Menschen in der Kälte auf der Straße siehst, kannst du zunächst freundlich und respektvoll nachfragen, ob dieser Mensch Hilfe braucht. Im Zweifelsfall kannst du die Person auch wecken und schauen, ob alles ok ist. Ist das der Fall, braucht es meistens keinen Notarzt, sondern höchstens die Sozialarbeit. Bei Berührungsängsten solltest du dich zumindest vergewissern, ob die Person warm eingepackt und bei Bewusstsein ist. Falls du das aus der Distanz nicht beurteilen kannst, ob jemand nur schläft oder bewusstlos ist, lieber Hilfe rufen. Bei Notfällen - wie bei Verlust der Selbstkontrolle oder des Bewusstseins - bitte den Rettungsdienst (112) rufen.
2. Kältebus kontaktieren
Es gibt in vielen Städten einen sogenannten Kältebus. Dieser fährt die Straßen ab und rettet obdachlose Menschen vor dem Erfrieren. Die Nummer des Hamburger Kältebusses lautet: 0151 65683368. Wenn die obdachlose Person nicht mehr ansprechbar ist, dann solltest du unbedingt die 112 anrufen.
3. Auf Hilfsangebote aufmerksam machen
Viele Organisationen geben Lebensmittel und/oder Kleidung aus. Manche obdachlose Menschen kennen die Hilfsangebote dieser Organisationen oder der Stadt nicht. Daher kann es schon helfen, wenn du die obdachlosen Menschen darauf aufmerksam machst.
4. Spenden an Hilfsorganisationen
Um kurzfristig und unbürokratisch zu helfen, ist es auch sinnvoll, jene lokalen Organisationen mit Spenden zu unterstützen, die im Winter obdachlosen Menschen helfen.
Es ist toll zu sehen, dass in unserem Team aber auch in der Hamburger Bevölkerung Menschen sind, die sich emphatisch zeigen, Zeit, Geld oder Wissen spenden. Für die Mitmenschlichkeit nicht nur ein Wort ist. Bei unseren Events treffe ich diese Hamburger*innen und freue mich so sehr, dass wir nicht alleine denken, wie wir unseren Mitmenschen in unserer Stadt helfen können.
Und es zeigt sich auch:
Wir können mit etwas Einsatz immer wieder Einzelnen helfen. Im bedpark Hostel in Altona haben wir vergangenen Winter für sechs Monate 20 obdachlose Menschen geschützt untergebracht. Davon konnten nach einem halben Jahr ALLE ihren Gesundheitszustand verbessern. Acht haben eine Wohnung gefunden, fünf Personen einen Job. Das zeigt mir: wir können etwas verändern, wenn wir nur wollen.
Mehr Informationen zum Verein und wie ihr unterstützen könnt, findet ihr hier: www.strassenblues.de
Ihr wollt direkt mit Nik & dem StrassenBLUES-Team in Kontakt treten? Meldet euch gern per Mail oder telefonisch unter 0176 2199 1871.