Um mal gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Sie sind wichtig. Warum? Dazu gleich. Wie habe ich das herausgefunden? Mit langer theoretischer Recherche zu Bourdieu, Hartmut Rosa und vielen anderen Theorien rund um zwischenmenschliche Kommunikation und Support, qualitativen Interviews, der Bildung von Kategorien, dem Sortieren von Aussagen in genau diese Kategorien und viel Zeit und Kaffee, genau: Im Rahmen meiner Masterarbeit.
Sie bieten Raum dafür, dass Mehrwerte für uns alle entstehen können. Aufgeteilt sind diese Mehrwerte auf drei Ebenen: die berufliche, die soziale und die psychische. Das Ergebnis meiner Arbeit stellte heraus, dass ungeregelte Interaktionen vor allem auf der sozialen und psychischen Ebene Mehrwerte erzeugen. Genauer: Für die Interviewten tragen zufällige Interaktionen dazu bei, dass sie ein Community-Gefühl haben und sich allgemein einfach wohlfühlen. Diese Aussage einer Interviewpartnerin fasst das schön zusammen:
„Und das ist nämlich dieses Kollegium, was auf den ersten Blick gar kein Kollegium ist, sondern dieses, ja, dass du mal mit jemandem Kaffeetrinken kannst oder dass du ein- fach in einer Schlange stehst, an der Bar und über das Wetter redest, so. Aber dass du irgendwie merkst, so: Boah, hier geht was. Und das sind, glaube ich, so diese kleinen Momente, wo das passiert.“
(John (2021): Die Bedeutung ungeregelter Interaktionen für Coworkende. Eine Untersuchung im betahaus Hamburg. Interview 2, Absatz 52)
Auch der Aufbau eines sozialen Netzwerks wird für manche dadurch angeschoben - das aber sehr personenabhängig. Die Mehrwerte, die sich auf der beruflichen Ebene befinden (Aufträge oder Wissensaustausch) werden zwar auch durch zufällige Interaktionen gefördert, entstehen aber vor allem durch Netzwerk-Veranstaltungen und Empfehlungen Dritter.
Jetzt könnte man natürlich sagen: Wenn ich in einen sozialen Austausch gehen will, besuche ich ein Netzwerk-Event. Wenn ich Kontakte brauche, frage ich die Community-Manager*innen. Und außerdem ist es ja klar, dass ich mich im betahaus wohlfühle: Sind ja alle nett hier. Klar, das sind alles wahre Worte.
Was meine Arbeit auch zeigt: Die Mischung macht’s. Es braucht sowohl die Arbeit der Communitymanager*innen als auch die Events, bei denen man (mehr oder weniger) bewusst sozialen und beruflichen Austausch sucht. Auf Events können Kontakte viel zielgerichteter gesucht und gefunden werden, man nimmt sich meist mehr Zeit und alle sind mit einer ähnlichen Motivation da: ein Netzwerk aufbauen.
Und auch die Rolle der Communitymanager*innen ist u.a. deswegen so wichtig, da sie (neben tausend anderen Dingen) Interaktionen befördern: Sie reichen Personen, die Teil der Community sein wollen, die Hand, beziehen sie ein und erleichtern ihnen so den Zugang. Außerdem sind sie für die Kontakt- und Wissenssuche super hilfreich.
Darauf möchte ich nochmal kurz eingehen: gerade für die Wohlfühlatmosphäre, die von den meisten empfunden und geschätzt wird, spielen spontane Interaktionen eine große Rolle. Natürlich tragen auch hier Events und die Arbeit des Communitymanagements einen wichtigen Teil bei. Aber Momente, wie das Lächeln auf dem Flur oder das gemeinsame Frösteln, wenn zu Corona-Zeiten regelmäßig gelüftet wird, sind die kleinen Ameisen, die als Beiträge oft nicht bewusst wahrgenommen werden - aber dennoch relevant sind.
Zwei Faktoren machen ungeregelte Interaktionen einzigartig und wertvoll: Ihr »easy access« und die geringen Investitionen. Gerade der »easy access« wird deutlich, wenn man die ungeregelten Interaktionen als »Icebreaker« betrachtet: Sie bieten eine ideale Möglichkeit, einen ersten Kontakt mit einer anderen Person herzustellen, ohne ein großes (zeitliches) Risiko einzugehen. Wenn z.B. beide auf heißes Wasser aus dem Wasserkocher warten, ergibt sich einerseits gleich ein Gesprächsthema für den Einstieg. Außerdem kann ein Gespräch eingegangen werden, ohne Angst zu haben, man gehe der anderen Person auf die Nerven oder verschwende ihre (und die eigene) Zeit. Denn beide haben einen leichten »exit«: Wenn das Wasser heiß und der Tee fertig ist, kann das Gespräch beendet sein.
Ein weiterer Pluspunkt der zufälligen Interaktionen: Man kann sie nicht zeitlich einplanen oder in den Terminkalender eintragen. Dadurch kosten sie kaum Energie und Aufwand.
Noch deutlicher wird der Wert, dieser zufälligen und oft sehr kleinen Interaktionen, wenn sie nicht mehr stattfinden: In Zeiten der Corona-Pandemie finden fast nur noch geplante (Online-) Treffen statt. Selbst wenn man vor Ort im betahaus ist fehlen Flurgespräche, man geht auf Abstand und die Mimik wird zum Großteil verdeckt. Dadurch fehlt die einfache Möglichkeit, Nettigkeiten oder Informationen auszutauschen und so Mehrwerte zu generieren. Wenn man sich umhört, fehlen genau diese kleinen Ameisen der Mehrwertschaffung: Ungeplante, kurze, gut-tuende Zusammentreffen vis-à-vis.
Natürlich ist das Empfinden von Mehrwerten sehr individuell und ungeregelte Interaktionen für jede*n aus anderen Gründen wichtiger oder unbedeutender. Und klar ist Homeoffice ab und zu auch mal schön und wer weiß, wie sich die Arbeitswelt aufgrund der Erfahrungen in der Corona-Zeit wandelt. Ich persönlich habe mir nach meiner Masterarbeit vorgenommen: Homeoffice hin oder her - Sobald es geht werde ich wieder öfter mal die Jogginghose ausziehen, coworken gehen und dem Zauber des Zufalls eine Tür öffnen.
Wenn du die gesamte Masterarbeit lesen möchtest oder Interesse hast dich weiter mit dem Thema zu beschäftigen, kannst du Lea gerne per Mail kontaktieren.