Robert Beddies
August 30, 2022
Nachdem er 8 Jahre in verschiedenen Management-Positionen für Lufthansa Technik in Hamburg und Moskau tätig war, wechselte Robert Beddies 2015 als Geschäftsführer in's Hamburger betahaus. Robert ist außerdem Mit-Initiator des “Neuen Amt Altona”, ein genossenschaftlich organisierter Coworking Space.

Elternzeit als Geschäftsführer - ist das jetzt eigentlich ganz normal oder immer noch etwas Besonderes?

Der Geschäftsführer geht in Elternzeit. Schieben die Mitarbeiter*innen jetzt Panik? Oder er selber? Robert hat sich eine Woche vor Elternzeit-Start mal Gedanken zu den verschiedenen Perspektiven gemacht.

Die Perspektive des Vaters

Anfang 2019 war ich das erste Mal in Elternzeit - 2 Monate offiziell und dann nochmal 2 Monate in Teilzeit/Vollzeit mit Kind, da meine Frau wieder angefangen hatte zu arbeiten. Ein 12 Monate altes Baby mehrere Wochen fast täglich mit im Büro zu haben, war wahrscheinlich suboptimal für viele Beteiligte - gleichzeitig haben sich betahaus und mein Sohn schnell aneinander gewöhnt. Es gab neben der Trage viele Orte im Haus, die plötzlich (auch) Spielecke waren und viele Kolleginnen und Kollegen wurden plötzlich zu Teilzeit-Babysittern. Getreu dem Motto “It takes a village to raise a child” waren die Erfahrungen, die mein Sohn in diesem Kontext gemacht hat, sicherlich nicht die Schlechtesten.

Die Perspektive der Firma

Aber unabhängig davon, ist es tatsächlich nicht ganz trivial, einen Job längere Zeit ruhen zu lassen, der nicht zuletzt aus gesetzlichen Gründen mit vielen schwer delegierbaren Verantwortlichkeiten ausgestattet ist. Die Geschäftsführung ist typischerweise verantwortlich für die Liquidität eines Unternehmens, für die Ertragslage, trifft Budget-Entscheidungen, ist in Recruiting und Personal involviert und steuert und lenkt - gerade in kleinen Unternehmen - auch das Tagesgeschäft mit. Und nicht zuletzt sind Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer auch oft Führungspersonen, die ihre Teams leiten und lenken.

Die Perspektive des Teams

Wir haben als Team bereits 2018 begonnen, das Thema Führung und Hierarchien zu hinterfragen und begonnen mit partizipativen Führungsansätzen, Eigenverantwortung und Kreismodellen zu experimentieren. Wir haben dafür viel Zeit in Workshops und Arbeitssessions verbracht und es hat an vielen Stellen Kraft und Energie gekostet. Und die Konflikte, die entstanden sind, haben ebenfalls Spuren hinterlassen. Anfang 2019 waren wir dann auch mitten in einer Transformationsphase und meine oben beschriebene Elternzeit war damals auch einfach ein Privileg, das ich mir als Geschäftsführer leisten konnte. Denn die Kolleginnen und Kollegen, die mich vertreten haben, waren bei einigen Themen letzten Endes doch sehr auf sich allein gestellt und sind auch in Überlastungssituationen geraten.

Die Perspektive eines Kollegen

“Die Vorstellung, längere Zeit komplett ohne den Geschäftsführer Entscheidungen treffen zu müssen - quasi ohne Netz und doppelten Boden - fühlte sich im ersten Moment gar nicht so schlimm an. Wir hatten schon immer eine hohe Transparenz bei allen Entscheidungen und alle wichtigen waren bekannt und adressiert. Die Wucht und der Umfang der “neuen” Aufgaben hat mich dann doch überrascht und in einige grenzwertige Belastungssituationen geführt. Gleichzeitig war es mir und uns wichtig, dass das funktioniert - nicht zuletzt ist das auch eine Blaupause für längere Abwesenheiten anderer KollegInnen, die im Nachgang sehr unkompliziert kompensiert werden konnten.”

Die Perspektive

Wir haben den oben beschrieben Weg im Team weiter beschritten. Und auch wenn die Coronazeit uns diesbezüglich einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht hat, so glaube ich, dass wir heute ein gereiftes Team sind, dass teilweise schon über 7 Jahre zusammenarbeitet und in dem alle Führungsaufgaben inzwischen breit verteilt sind. Wie genau wir dabei vorgegangen sind und an welchen Themen wir derzeit arbeiten, wollen wir demnächst etwas genauer beschreiben. Zunächst steht für mich aber die zweite Elternzeit an - diesmal mit 3 & 3 Monaten und vollständig sorgenfrei in Bezug auf die Aufgaben in der Firma. Die Selbstverständlichkeit mit der das Team längere Abwesenheiten von Kolleginnen und Kollegen organisiert, sind dabei ein positives Zeugnis dessen, was wir hier erreicht haben.

Vielleicht ist das 2022 ja alles viel unspektakulärer als es sich anfühlt - mir war es trotzdem wichtig, diese Gedanken zu teilen und ich freue mich auf Rückmeldungen zum Thema!

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