Neulich bin ich seit langem mal wieder mit dem Bus gefahren. In den letzten Monaten habe ich die Öffis gemieden, so wie fast mein gesamter Bekanntenkreis in Hamburg. Die Angst vor einer Ansteckung auf engstem Raum ist mit dem steigenden Inzidenzwert letztem Winter auch bei uns wieder gewachsen.
Und auch während der Fahrt verspürte ich das einnehmende Gefühl der kollektiven Beklemmung zwischen den Gesichtern hinter den Masken. Fast schon wie ein Misstrauen, das wir uns gegenseitig entgegenbringen, als wären öffentliche Verkehrsmittel nicht so schon häufig der Raum in dem ich mich unter vielen trotzdem alleine fühle.
Dennoch war ich froh, dass ich die Fahrt gemacht habe. Denn als ich vorne ausstieg und mir dabei die Maske verrutschte, lächelte der Busfahrer hinter seiner Scheibe und sagte: “Ich freu mich drauf, wenn ich euch wieder ansehen kann, ob ihr heute einen guten oder schlechten Tag habt.” Ich musste schmunzeln und gleichzeitig fühlte ich mich etwas ertappt. Und ich fragte mich, ob es uns denn ohne Masken so ohne weiteres wieder leicht fallen wird, mit einem fremden Menschen zusammen ein Lächeln zu teilen.
Ich erzähle dir von dieser Begegnung, weil ich nicht nur in meinem Umfeld immer wieder höre, dass sich Menschen nach längeren Ausgangssperren und Isolation sozial überfordert fühlen, sondern weil das Thema jetzt mit den in den Medien und in der Politik diskutierten geplanten Lockerungen wieder sehr aktuell wird. Und weil ich dir zeigen möchte, dass wir diese Gedanken miteinander teilen. So fühlen sich laut einer Studie 46% der Amerikaner nicht wohl dabei, zu ihrem Alltag vor Corona zurück zu kehren. 49% gaben an, dass es ihnen schwer fällt, menschliche Nähe wieder zuzulassen.*
Auch mit meinen Klient*innen spreche ich in unseren Sitzungen über aufkommende Selbstzweifel im Umgang mit anderen Menschen, die vorher so vielleicht noch nicht da waren. Deshalb möchte ich dir vier kleine Achtsamkeits-Tipps to go für ein schönes und entspanntes Miteinander und deinen Weg zurück in einen sozialen Alltag geben.
Vielleicht schreibst du ja schon ein Tagebuch oder führst ein regelmässiges Journal. Dabei ist es gar nicht nötig, dass du jeden Tag deine Gedanken notierst. Aber du kannst mal ausprobieren, was passiert wenn du besondere Erlebnisse und Eindrücke für dich festhältst. Über einen gewissen Zeitraum fällt es dir dann womöglich leichter, deine Gefühle bestimmten Situationen zuzuordnen und so Muster zu erkennen.
So kannst du dann zum Beispiel für dich entscheiden, dass du bestimmte Dinge einschränken möchtest, weil du dich dabei nicht wohl fühlst oder das Gespräch mit einer Person suchen.
Wir fühlen alle jeden Tag mal rauf und mal wieder runter. Das gehört zu unserem Leben dazu. Aber das Aufschreiben kann dir dabei helfen, deinen eigenen Weg etwas besser zu erfassen und dich selbst ein Stück weit mehr noch kennen zu lernen. Deine Geschichte schreibst du so oder so. Aber es ist manchmal hilfreich, wenn du sie nochmal nachlesen und deine Handlungen und Gefühle dadurch besser nachvollziehen kannst.
Außerdem tust du mit dem Schreiben jedes Mal noch eine weitere gute Sache für dich: Mit jedem Wort auf deinem Papier oder am Computer kannst du Distanz zu den Gefühlen schaffen und dir selbst wieder mehr Raum für schenken. Denn du bist ja nicht deine Gefühle. Und jetzt gerade hast du das eben auch verdeutlicht, indem du sie mit deinem Stift abgelegt hast.
Weißt du noch, wie du als Kind mal versucht hast einen Ball länger unter Wasser zu halten und das runde Ding immer wieder nach oben geschnellt ist? Es hat viel Kraft gekostet, den Ball auch nur ein paar Sekunden unter der Wasseroberfläche zu halten und ihn mit deinen Händen und Armen zu balancieren.
Genauso ist es meistens mit den Gefühlen, die wir unterdrücken: Sie melden sich in unserem Alltag immer wieder zurück und lassen sich nicht abstellen. Ein “Danke, geht schon.” und dir selbst einreden, dass dir etwas bestimmtes nicht weh tut, lässt die negativen Gefühle nicht verschwinden.
Fühlst du dich also in der aktuellen Lage häufig vom Außen überfordert und missverstanden, dann gebe diesem Empfinden einen Raum und heiße dieses Neue willkommen. Die meisten Sorgen und Ängste, die wir entwickeln, sind Warnmeldungen, die uns vor etwas beschützen wollen. Ganz unabhängig davon, ob wir diesen Schutz letztendlich wirklich brauchen oder nicht.
Es ist vollkommen nachvollziehbar, dass dich Gefühle und Unsicherheiten irritieren, die vorher noch nie in deinem Leben waren. Versuche diese aber sorgsam und ohne Druck zu beobachten und kennenzulernen. Auch hier kann dir das Festhalten deiner Gedanken durch Aufschreiben wieder helfen.
Auch das direkte Gespräch mit lieben Menschen aus deinem Umfeld kann immer ein Weg der Selbstreinigung für dich sein. Du darfst dir das Selbstbewusstsein, deine Bedenken offen auszusprechen erlauben. Denn wenn du dich an die Umfragewerte erinnerst, dann wissen wir dass es nicht nur dir so gehen kann. Deshalb ist ein kollektives Verständnis für soziale Unsicherheiten sehr hoch, auch weil wir Corona zusammen erleben und alle davon betroffen sind.
Vielleicht stellst auch du bei Freund*innen oder in deiner Familie Unsicherheiten fest oder hast das Gefühl, dass sich jemand verschließt. Dies kann sich zum Beispiel dadurch ausdrücken, dass bisherige regelmäßige Verabredungen egal ob online oder offline häufiger abgesagt werden oder die Person vermehrt über ein körperliches Unwohlsein klagt. Versuche hier dann ruhig ohne Druck das Thema anzusprechen und dabei zum Beispiel auch von deinen eigenen, ähnlichen Zweifeln zu sprechen.
Ihr könnt euch auch dadurch unterstützen, dass ihr gemeinsame Pläne für die Zeit ohne Lockdown macht und bis dahin Dinge unternehmt, die auch mit Kontaktbeschränkung möglich sind. Online-Escape Rooms sind neben dem gemeinsamen Spaziergang immer noch hoch im Rennen.
Einige von uns sagen, dass sie die Kontaktbeschränkungen als teilweise sogar entspannt wahrgenommen haben, weil sie sich selbst als introvertierte Menschen sehen und von Natur aus eher Kraft aus dem Alleinsein schöpfen. Dazu zähle ich mich auch. Ich konnte die neu gewonnene Zeit sehr gut nutzen, um Dinge anzugehen die ich sonst immer links liegen ließ. Auch meine Ausbildung zum Entspannungstherapeuten und Meditationslehrer habe ich im ersten Corona-Jahr begonnen.
Dafür bin ich rückwirkend sehr dankbar. Und diese entschleunigende Zeit hat mich genau das gelehrt: Es muss eben doch nicht alles immer schnell, schnell gehen. Vor allem nicht bei uns selbst. Also in dir drinnen.
Deshalb darfst du dir es jetzt auch erlauben, dein Sozialleben in deinem Tempo wieder anzugehen und mit kleinen Schritten zu schauen, was dir gut tut. Vielleicht bist du in den letzten beiden Jahren durch die neuen Erfahrungen auch ein achtsamerer Mensch geworden.
Und das ist gut so.
*American Psychologicial Association, 2021
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