Erinnert ihr euch noch an Festivals? Lang ist’s her oder? Corona sei Dank. Oder eben nicht. Wir waren auf jeden Fall ordentlich aufgeregt, als wir Anfang Juni zum Waterkant Festival Summer nach Kiel eingeladen wurden. Dabei handelt es sich zwar im Kern mehr um eine Konferenz, als um eine kulturelle Großveranstaltung, wie ihr jetzt vielleicht denkt, aber immerhin gab es Festival-Bändchen, ein abwechslungsreiches Programm und eine kuratierte Ausstellung vor Ort. Aber kommen wir zur Sache:
Das Waterkant Festival findet seit 2016 jährlich im Juni, kurz vor der Kieler Woche statt. Die anfänglich 300 Besucher*innen sind in den letzten Jahren zu einer Fangemeinde von um die 1000 Teilnehmer*innen gewachsen, die – normalerweise – aus zahlreichen europäischen Ländern anreisen.
In diesem Jahr wurde aus dem Waterkant Festival ein ganzer Festival Sommer mit verschiedenen kleineren Events. 6 Tage - 6 Themen so lautete das Motto des Kernprogramms, welches Corona-konform unter freiem Himmel stattfand. Für die Teilnehmenden bedeutete das: Jeden Tag ein kleines Minifestival, inklusive Keynote, Panel, einer Auswahl an Workshops und Networking zu den Thementagen.
Am 04.06. drehte sich vor Ort dann alles um die Themen Neues Arbeiten und Neue Wirtschaft. Beim Thementag “New New Work” durften wir vom betahaus natürlich nicht fehlen und reisten voller Freude an die Waterkant. Nach einer herzlichen Begrüßung des Waterkant-Teams und einer ausreichend langen Erkundungstour über das fantastische, direkt an der Kieler Förde gelegene, Gelände lauschten wir als erstes der Keynote von Lena Marbacher, Co-Founderin des Magazins Neue Narrative.
Lena Marbacher startete den Thementag und hielt ihre Keynote rund um die Themen Neue Arbeit & Homeoffice per Videoschalte.
Sie erzählte, dass die Verlagerung von analogen Prozessen ins Digitale, der Kern von New Work also, besonders traditionellen Unternehmen schwer gefallen sei. Doch was genau waren die Herausforderungen als New Work auf Corona-Pandemie traf? Die Schwierigkeiten waren nicht etwa neue Tools für Videocalls oder online Whiteboards zu erlernen, sondern vielmehr die Frage, wie Beziehungsarbeit in der neuen Form der Zusammenarbeit auf Distanz funktionierte, referierte die Gründerin.
Das hat gezeigt, so die Speakerin, dass New Work inzwischen mehr brauche als bunte Post-its, agile Methoden und Selbstführung. Hier sollte man also ansetzen und versuchen, die eigenen Werte auch in einer Krise beizubehalten. Weiter prangerte sie an, dass Neue Arbeit nicht nur für Wissensarbeit, wie Zukunftsforschung, Transformation oder IT, relevant sein sollte, wie es derzeit der Stand ist, sondern klassizistische Tendenzen überwinden und auch dort stattfinden muss, wo außerhalb von Bildschirmen gearbeitet wird.
Zu den zukünftigen Feldern von New Work sollten außerdem Themen wie Rechtsformen, strukturelle Benachteiligungen und Eigentum gehören, da diese sehr großen Einfluss darauf haben, wie wir in einer Gesellschaft zusammenleben.
Zusammenfassend müsse das Ziel von New Work sein, dass wir in einer Wirtschaft arbeiten und leben, die für alle gleich gut ist und in der Benachteiligungen der Vergangenheit angehören, gab Lena den Zuhörenden abschließend als Denkanstoss für den restlichen Thementag mit auf den Weg.
Dann waren wir selber an der Reihe: Unsere Community Managerin Teelke Meyer lud die Teilnehmenden zu einem Workshop ein. Unter dem Motto “Nicht mehr new, sondern work” tauschte sie sich an der frischen Luft und mit Blick auf die Kieler Förde, mit der buntgemischten Teilnehmer*innengruppe über die positiven und negativen Lektionen des Corona-Jahres aus.
In einer Gedankenreise ins Deutschland des Jahres 2030 malte Teelke das Bild vom New Normal: Remote Work, Individualität und Freiheit steht an der Tagesordnung. Arbeitende sind frei, sich eine Arbeitsumgebung zu schaffen, wie sie es sich wünschen. Gearbeitet wird an allen Orten; im Office, am Strand, zu Hause, im Café. Doch wissen sie überhaupt, was sie wirklich brauchen?
Mit dieser Frage im Hinterkopf wurden von der Workshop-Gruppe schließlich die Bedürfnisse herausgearbeitet, die sie mit ihren Erfahrungen des Corona-Jahres für sich deklarieren konnten:
Der einstündige Workshop verstand sich als Auftakt sich dem Thema zu nähern und so verließen die Teilnehmer*innen gut gelaunt und inspiriert von dem regen Austausch den Veranstaltungsort in Richtung Hauptbühne, wo das Abschlusspanel stattfinden sollte.
Zum krönenden Abschluss trafen sich Lena Marbacher, Teresa Inclan (MINC), Tobias Kremkau (CoWorkLand), Amrei Andrasch (Knoweaux) und betahaus-Geschäftsführer Robert Beddies zur Panel Diskussion. Unter der Moderation von Anjuli Gronwald (kiel.worx) ging es um Veränderungsentwürfe, die unsere Umwelt definieren (könnten).
Hier war Robert direkt in seinem Element und erzählte in seiner Funktion als Initiator des Neuen Amts Altona, von dem genossenschaftlich organisierten Coworkingspace, der mit seiner Idee, dass die Nutzer*innen gleichzeitig die Besitzer*innen des Gebäudes werden, einen besonders relevanten Beitrag im New-Work-Wandel leistet. Das Neue Amt sei ein bisschen die Antwort auf das, was vor der Pandemie schon in der Immobilienwirtschaft falsch gelaufen ist. Im Hinblick auf die Pandemie sei aber auch besonders spannend, was im betahaus derzeit passiere.
“Wir haben zehn Jahre lang Dinge gemacht, die nur digitale Freelancer*innen und Startups verstanden haben und mussten großen Konzernen immer wieder erklären, was wir da eigentlich tun. Dieser Wechsel ins Homeoffice hat da aber einen Verständniswandel gebracht, so dass sich unsere Zielgruppe auf einmal auch auf Menschen im Remote Office ausgeweitet hat, denen auf einmal die Bürogemeinschaft fehlte.”
Zwar sei nicht das betahaus an sich die Veränderung, aber als Organisation begleite es eben genau die Leute, die jetzt zum ersten Mal festgestellt haben, dass nicht der Arbeitsplatz an sich wichtig ist, sondern vielmehr die Gemeinschaft außen rum, in der es Platz für privaten, aber eben auch wirtschaftlichen Austausch gebe.
Dieser Wandel machte sich auch im Netzwerk vom CoWorkLand bemerkbar, stimmte Tobias Kremkau zu. Dezentrale Strukturen seien auch im ländlichen Raum breit diskutiert. Das Thema mobiles Arbeiten sei inzwischen in der breiten Masse angekommen.
“Nach zehn Jahren Pionierarbeit im Coworkingbereich ist es erfreulich zu sehen, dass nun vielleicht endlich “unsere Zeit” gekommen ist.”, lachte Tobias.
Wo die einen vielleicht eine Chance sehen, nehmen andere die Pandemie aber eher als Stress wahr, warf Teresa ein. Die fehlenden Strukturen machten besonders vielen Menschen Probleme während des letzten Jahres. Dennoch hat auch sie in ihrer Arbeit als Prozessbegleiterin gesehen, dass Organisationen in der Pandemie den Mut gefunden haben, Dinge auszuprobieren und ins Digitale zu transformieren. “Lernend vorwärts stolpern haben wir dank Corona alle kollektiv gelernt”, so Teresa.
Apropos Lernen: Wo fängt man als Organisation also am besten mit neuen Prozessen an? Man könne mit Veränderungen in Meetingstrukturen oder Entscheidungsfunktionen beginnen, so Lena Marbacher.
“Ich denke jede Organisation hat ihren eigenen Rhythmus und muss ihr eigenes Tempo finden. Was ist das Wichtigste für das Unternehmen und was kann vielleicht noch warten? Und vor allem: Nicht jeder Trend muss mitgemacht werden.”
Wichtig sei es aber eben auch co-kreative Prozesse zu gestalten und nicht nur auf Führungsetagen zu entscheiden, führte Amrei aus. Um auch die abzuholen, für die beim Thema New Work gerade noch nicht mitgedacht werde, müsse man nach ihrem Need, ihren Bedürfnissen, fragen und sie in Diskussionen mit einbeziehen.
Die Panel-Teilnehmer*innen waren sich am Ende also einig, dass Transformation insbesondere, wie so vieles, nur über Austausch funktioniere. Vielleicht ist eben das einer der Schlüssel zum New New Work-Glück?
Aus der Coworking-Perspektive haben wir als betahaus die Erfahrungen gemacht, dass Menschen die in einer klassischen Organisation arbeiten, gar nicht gewöhnt sind, dass auf sie als Individuen eingegangen wird. Und eben da muss angesetzt werden mit der Übersetzungsarbeit, die wir natürlich weiterhin gerne leisten und unseren Beitrag zum Neuen Arbeiten leisten.
Das gesamte Panel könnt ihr übrigens hier anschauen.
Abschließend lässt sich wohl sagen, dass obwohl Remote Working und digitale Interaktionen seit Corona Teil des Alltags von vielen Menschen sind, New Work aber zum einen bislang nur bei einem kleinen Teil von Arbeitenden wirklich angekommen ist, und zum anderen, dass hinter diesem Buzzword noch viel mehr steckt: Eine Wirtschaft, die hinterfragt, wie Arbeiten lebensfreundlicher werden kann, die Care-Arbeit mitdenkt und Strukturen schafft, die über bloße digitale Tools hinausgehen. Und diese am Ende auch unter entsprechend wirtschaftlichen Druck beibehalten kann.
Es bleibt also noch viel zu tun, um dem Wir in Wirtschaft doch noch gerecht zu werden.
Vielen Dank an das gesamte Festival-Team für diesen Tag voller Input, Inspiration und Diskussion.
Das internationale Waterkant Festival ist eine der zahlreichen Initiativen des unabhängigen Bildungsclusters opencampus.sh, der sich für alternative Bildungsformate und Gründungsförderung in Schleswig-Holstein stark macht. Das Festival will Zukunft greifbar machen, indem Probleme und Antworten auf große gesellschaftliche Veränderungen, wie Nachhaltigkeit und Digitalisierung konstruktiv in die gesellschaftliche Debatte gebracht werden. Dazu bringt das Festival internationale und insbesondere skandinavische Denker*innen, Macher*innen und Unternehmer*innen mit den innovativen technischen, handwerklichen und intellektuellen Lösungsvorschlägen junger Startups aus Schleswig-Holstein und Nordeuropa zusammen. So kommen auf dem Festival eine Vielzahl unterschiedlicher Menschen zusammen, die sich gegenseitig inspirieren und voneinander lernen. In entspannter Atmosphäre finden interaktive Workshops, Vorträge und informelle Meetups statt, bei denen sich jede*r einbringen kann. Neue Produkte, Ideen und Technologien stehen für alle Besucher*innen zum Ausprobieren und Erleben bereit!